Schnitzel mit Spätzle bei Muttern
Der 21-jährige Profi Christian Gentner aus Stuttgart will sich im Fußballzirkus nicht verbiegen lassen
Noch ist Christian Gentner ein bisschen fremd in seinen eigenen vier Wänden. Der Fußballspieler des Bundesligisten VfB Stuttgart hat zwar schon vor Wochen seine neue Wohnung in Bad Cannstatt bezogen, doch seine Freundin Verena hat ihn dort bisher nur selten zu Gesicht bekommen. "Wir müssen noch viele Möbel kaufen", sagt sie und räumt eine der Kisten zur Seite, die ihr den Weg ins Wohnzimmer versperrt.
Gelegenheiten für eine ausgiebige Einkaufstour sollte der 21-jährige Mittelfeldspieler bald finden. Die härteste Zeit für einen Profisportler, die anstrengende und knapp fünf Wochen währende Vorbereitung auf die Rückrunde, ist längst vorüber, und der VfB Stuttgart sieht sich nach seinem glänzenden Sieg gegen die Bremer von einer Welle der Begeisterung getragen. Gute Zeiten für einen wie Gentner. Während des normalen Spielbetriebs bittet der Trainer Armin Veh seine Mannen höchstens zweimal am Tag für maximal zwei Stunden zum Mannschaftstraining an die Mercedesstraße, sodass selbst Gentner freimütig zugibt: "Ich habe schon einen schönen Job und verdiene damit auch noch gutes Geld."
Christian Gentner aus Beuren unweit von Kirchheim unter der Teck ist keiner von denen, die sich vom ersten Profigehalt gleich einen Porsche kaufen. Seine Herkunft hat Gentner nie vergessen. Er hat die Fachhochschulreife gemacht und sagt von sich: "Ohne Profifußball stünde ich nicht auf der Straße." Er ist, wer er war, und wird sein, wer er ist: ein bisschen schüchtern, aber durchaus selbstbewusst; zurückhaltend, aber auch offensiv.
Im Alter von sechs Jahren wusste Gentner schon, was er werden wollte: Profifußballer. "Zugführer oder Pilot war nie ein Traumjob für mich", sagt er. Der Junge, der früher auf dem Pausenhof mit solcher Kunst gegen herumliegende Blechdosen kickte, dass er schnell die Aufmerksamkeit eines Fußballtrainers auf sich zog, ging bereits mit 14 Jahren zum VfB - und streift sich noch heute das weiße Trikot mit dem roten Brustring über. Auch wenn er dabei auf einsamere Tage vor allem in der Pubertät zurückblickt, als seine Kumpels am Abend in die Disco gingen, während er ein Rendezvous mit der Bettdecke hatte. Nein, vermisst habe er aber nichts, sagt er. Er sei ohnehin kein Typ, der um die Häuser ziehe. Und so wie er dieses Nein sagt, so klar und treuherzig überzeugt und überzeugend, darf man ihm das glauben.
Der VfB ist für Gentner so etwas wie eine Herzensangelegenheit. Nicht nur weil er dort fast täglich seinem drei Jahre jüngeren Bruder Thomas über den Weg läuft, der bei den A-Junioren spielt, sondern auch, weil sein drei Jahre älterer Bruder Michael beim VfB als Trainer arbeitet. Jubelte Gentner früher selbst in der Cannstatter Kurve Elber, Balakov und Bobic zu, so wird ihm heute selbst die Bewunderung der Fans zuteil, auch wenn er es ob der Konkurrenz nur selten in die Startelf schafft.
"Mein Kindheitstraum ist wahr geworden", sagt Gentner. Weil er Sätze wie diesen öfter sagt, behaupten manche, die ihn nicht näher kennen, er sei ein Langweiler. Sie verwechseln langweilig mit dieser Mischung aus Ruhe und Bescheidenheit. Aber Glück definiert Christian Gentner nicht über das, was von ihm in der Zeitung steht, auch nicht über den Kontostand oder sein Konterfei in der "Bravo", sondern über ein ihm vertrautes Rückzugsgebiet jenseits der schillernden Scheinwelt des Profifußballs. Dort ist er nicht der umschwärmte Bundesligakicker, sondern Sohn, Freund oder Kumpel.
"Die Familie bedeutet mir sehr viel, und es gibt für mich nichts Schöneres, als mit Freunden ohne Druck und unbeschwert Fußball zu spielen", sagt er und wirft ein paar Spaghetti in das kochende Wasser auf dem Herd. "Das geht am schnellsten und schmeckt", sagt Christian Gentner und lächelt knitz. Bis vor Kurzem hat noch seine Mutter in Beuren für ihn gekocht, gewaschen und gebügelt. Nun muss er selbst diese humorlosen Aufgaben im Haushalt erledigen, auch wenn er noch nicht auf Anhieb weiß, wo er was in der neuen Wohnung findet. Ist der Kühlschrank leer, geht Gentner essen oder fährt nach Beuren zur Frau Mama. Wenn er kommt, dann steht sein Lieblingsessen meistens schon auf dem Tisch: Schnitzel mit Spätzle.
Stuttgarter Zeitung 13. Februar 2007